Shitstorm nach IWF-Kredit – kurz vor Toresschluss

Gibt es für politische Unterstützung geschenkte Dienstwagen? Warum im Land Hunderttausende die internationale Finanzhilfe für ihre korrupte Regierung stoppen wollen.

Den Kenianern macht so schnell keiner etwas vor, wenn es um einen politischen Shitstorm geht. Die kenianischen Twitterer mit dem Spitznamen „Bienenschwarm“ lassen sich nicht einschüchtern. 

Minister mit einer Haushaltsführung, die an das Bermudadreieck erinnern, Parlamentarier, die sich erneut eine Erhöhung ihrer Diäten genehmigen, Beamte, die sich Entschädigungen für Bauland auszahlen, das ihnen nie gehört hat –  sie alle waren schon Zielscheibe von Spott- und Wutkampagnen in den sozialen Medien. Leider hat es oftmals nichts genutzt, nur manchmal jedoch schon! 

Der internationale Währungsfonds ist nun ins Visier der Leute geraten. 

Kenia wird seitens der IFW ein Kredit in Höhe von 2,34 Milliarden Dollar gewährt, um die ökonomischen Folgen der Corona-Pandemie abzufedern. Das Land steckt in enormen finanziellen Schwierigkeiten. Die Pandemie hatte schon nach der ersten Welle 1,7 Millionen Jobs vernichtet.

Die Preise für Treibstoff und weitere Lebenshaltungskosten steigen, während gerade die nächste Infektionswelle durchs Land rollt. Kenia kann also Hilfe gebrauchen! Dies finden vermutlich auch die meisten Kenianer/innen, aber eben nicht mit dieser Regierung. Kaum war der Kredit publik geworden, lief die Facebook-Seite des IWF über mit wütenden Kommentaren: „Nehmt Euren Kredit zurück, wir wollen ihn nicht!“ Und: „Gebt das Geld doch gleich unserem Präsidenten und seinen Kumpanen. Letztendlich wird es sowieso dort landen.“ Oder: „Ein Darlehen für Bankräuber!“ Auf Twitter beispielsweise verbreitete sich blitzschnell  #StopGivingKenyaLoans.

Eine Petition wurde auf der Onlineplattform Change.org gestartet, mit einer Liste von Korruptionsskandalen und der Forderung an den IWF, den Kredit auf Eis zu legen, bis sich die Kenianer/innen eine neue, rechtschaffendere Regierung zugelegt haben. Der Text war unterzeichnet mit „ausgelaugter kenianischer Steuerzahler“. Innerhalb von 48 Stunden hatten über 200.000 weitere ausgelaugte Steuerzahler unterschrieben.

Mit Protesten gegen seine oft brutalen Sparauflagen für Kreditnehmer hatte der IWF in seiner Geschichte immer wieder zu tun. Jedoch wohl noch niemals mit einer Bürgerbewegung, die sein Geld nicht will.

Während der Regierungszeit von Präsident Uhuru Kenyatta, Sohn des Staatsgründers Jomo Kenyatta, ist die Verschuldung des Landes von 16 Milliarden auf 70 Milliarden Dollar gewachsen. Dies ist für westliche Industrienationen ein Witz, für Kenia eine gewaltige Belastung. Und wenn Kenianer/innen eines gelernt haben: Benötigt die Regierung Geld, um den Schuldendienst zu bedienen, gehen die Steuern hoch.    

Was viele Bürger und Bürgerinnen so wütend macht: Statt in Gesundheit und Bildung zu investieren, steckte die Regierung Milliarden in riesige Infrastrukturprojekte, die sich als Schuldenfallen entpuppten. Unter Anderem ist da zum Beispiel die Schnellzugverbindung von Nairobi zur Küstenstadt Mombasa, Kostenpunkt rund drei Milliarden Dollar, die überwiegend aus chinesischen Krediten stammen. Eröffnet im Jahr 2017, schreibt sie seither rote Zahlen. (Jedoch soll die Zugfahrt tatsächlich extrem komfortabel und schnell sein.)

Täglich 18 Millionen durch Korruption

Eine weitere, rund 30 Kilometer lange vier- bis sechsspurige Überführung vom Flughafen in die Innenstadt, der Nairobi Expressway, Kostenpunkt eine halbe Milliarde Dollar. Hier sind ebenfalls wieder chinesische Banken Kreditgeber. Derzeit handelt es sich noch um eine gewaltige Baustelle, die täglich einen Verkehrsinfarkt in der Hauptstadt herbeiführt, jedoch soll das Projekt nach Fertigstellung Mautgebühren einbringen. Diese aber kassiert laut kenianischen Presseberichten für die nächsten 27 Jahre der chinesische Bauträger. Für die meisten Kenianer/innen ist er ohnehin zu teuer.

Für Kenias „Bienenschwarm“ gilt es als gesichert, dass solche Megaprojekte auch die Konten von Politikern und deren Familien füllen. 

Der Präsident selbst beklagte unlängst, dass das Land täglich (!) rund 18 Millionen Dollar durch Korruption verliere. Dies hält jedoch Uhuru Kenyatta trotzdem nicht davon ab,  Abgeordneten, deren politische Unterstützung er benötigt, neue Dienstwagen zu finanzieren.

Kenia hat eine ungemein agile Zivilgesellschaft, innovative Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen, eine im Vergleich zu Nachbarländern  wache Presse sowie eine der schamlosesten politischen Eliten. Manchmal fällt es schwer, zu glauben, dass alle aus demselben Land kommen. 

Megainfrastrukturprojekte

Der Bienenschwarm hat mit dem Protest gegen den IWF-Kredit jedenfalls eine Krise ins Schlaglicht gerückt, die auch zahlreiche andere Staaten auf dem Kontinent betrifft. Hoch verschuldete Länder wie der Sudan, Sambia, Äthiopien Tschad, Mosambik oder Angola gelten laut Weltbank und IWF als „Hochrisiko“ oder bereits als zahlungsunfähig.  

Die Ursachen ähneln sich oft: Megainfrastrukturprojekte, meist mit chinesischen Krediten finanziert, sinkende Rohstoffpreise, was besonders Öl exportierende Staaten wie Angola hart trifft, Korruption –  und obendrauf die Corona-Rezession. Der Tourismus – für Kenia ein wichtiger Wirtschaftszweig –  kam zu erliegen. Migranten konnten kein Geld mehr aus dem Ausland in die Heimat überweisen, soziale Netze wie die Schulspeisung brachen zusammen.

Das kirchliche Hilfswerk Misereor und das Bündnis erlassjahr.de haben in ihrem aktuellen Schuldenreport 2021 148 Länder im globalen Süden untersucht und festgestellt, dass „132 eine mehr oder weniger kritische Verschuldungssituation aufweisen“. Die Lektüre des Reports ist übrigens sehr zu empfehlen, wenn man die finanziellen Folgen der Pandemie verstehen will.   

Neue Schuldenerlässe

Nun haben internationale Institutionen bald nach Pandemiebeginn durchaus auf die kritische finanzielle Lage ärmerer Länder reagiert. Die G20-Staaten verhängten ein Schuldenmoratorium für die ärmsten Länder. Aber ein Moratorium bedeutet eben auch nur eine Atempause. Die internationalen Finanzinstitutionen IWF und Weltbank warnen zwar in dramatischen Tönen vor der eskalierenden Schuldenkrise, aber, qua definitionem, fällt ihnen auch nicht mehr ein, als den betroffenen Ländern weitere Kredite anzubieten –  mit strengen Auflagen, den Haushalt zu konsolidieren. Was dann zu Einsparungen im Bildungs- und Gesundheitswesen führt  und, siehe oben, zu höheren Steuern. Allerdings nie für die Reichen.

Weltweit werden im Zuge der Pandemie nun Forderungen wieder lauter, die globale Schuldenarchitektur zu reformieren –  von neuen Schuldenerlässen und transparenten Insolvenzverfahren für Staaten bis zu der Frage, ob ehemalige Kolonialmächte nicht auch noch einiges an Schulden in ihren ehemaligen Kolonien zu begleichen hätten.

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